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Das Leben verbessert die Kapazität der Umwelt, weiterhin Leben zu erhalten. Es erweitert ständig die Verfügbarkeit von Nährstoffen. Durch das umfangreiche chemische Zusammenspiel der Organismen speichert das System immer mehr Energie.
Pardot Kynes, Imperialer Planetologe
Unter dem Kommando von Thufir Hawat näherten sich die Hilfsschiffe der Atreides dem Blockadering um die Quarantänewelt Beakkal.
Der Mentat verzichtete auf jede Warnung, aber er hielt unbeirrt Kurs auf den Planeten. Die kleine Flotte war nur leicht bewaffnet, sodass sie sich nicht einmal gegen einen Piratenangriff wehren konnte.
Ihnen gegenüber standen die gewaltigen Kriegsschiffe der Sardaukar, eine beeindruckende Demonstration imperialer Macht.
Dann rasten zwei Corrino-Korvetten durch den Weltraum auf Hawats Versorgungsschiffe zu. Noch bevor die Sardaukar irgendwelche wüsten Drohungen ausstoßen konnten, öffnete Hawat eine Komverbindung. »Unsere Schiffe fliegen unter dem Wappen des Herzogs Leto Atreides. Wir befinden uns auf einer humanitären Mission. Wir bringen Nahrungsmittel und medizinische Hilfsgüter, um die Folgen der Seuche auf Beakkal zu lindern.«
»Kehren Sie um!«, erwiderte ein Offizier schroff.
Bereits eine der Korvetten hätte genügt, um der Atreides-Flotte schwere Verluste zuzufügen, aber der Mentat ließ sich nicht einschüchtern. »Wie ich sehe, stehen Sie im Rang eines Levenbrech. Sagen Sie mir Ihren Namen, damit ich ihn in mein permanentes Gedächtnis aufnehmen kann.« Er starrte auf den Bildschirm und wusste, dass ein rangniederer Offizier niemals eine Entscheidung von dieser Tragweite treffen durfte.
»Torynn, Herr«, sagte der Levenbrech knapp und steif. »Ihr Haus hat hier nichts zu suchen. Lassen Sie Ihre Flotte wenden und kehren Sie nach Caladan zurück.«
»Levenbrech Torynn, wir können den Menschen auf diesem Planeten helfen, ihre Verluste durch resistente Nutzpflanzen zu reduzieren. Wollen Sie einer hungernden Bevölkerung Nahrung und Medizin verweigern? Das entspricht nicht dem offiziellen Zweck dieser Blockade.«
»Wir dürfen kein Schiff durchlassen«, entgegnete Torynn. »Der Planet steht unter Quarantäne.«
»Das sehe ich, aber ich verstehe es nicht. Und Sie auch nicht, wie es scheint. Ich möchte mit Ihrem Vorgesetzen sprechen.«
»Der Oberbashar ist gegenwärtig mit anderen Dingen beschäftigt«, sagte der Levenbrech mit erzwungener Unerschütterlichkeit.
»Dann werden wir dafür sorgen, dass er sich mit etwas anderem beschäftigt.« Hawat unterbrach die Verbindung und gab seinen Schiffen das Zeichen, mit unveränderter Geschwindigkeit weiter vorzurücken.
Die zwei Korvetten versuchten sich ihnen in den Weg zu legen, aber der Mentat erteilte sofort neue Befehle in der Atreides-Kriegssprache, worauf die Flotte ausscherte und die Sardaukar-Schiffe wie Felsen in einem Fluss umflog. Der Levenbrech funkte weiter und wurde immer verzweifelter, als Hawat seine Anweisungen einfach ignorierte.
Schließlich rief Torynn Verstärkung. Thufir wusste, dass der Offizier in Schwierigkeiten geraten würde, weil es ihm nicht gelungen war, eine Flotte unbewaffneter und langsamer Frachtschiffe aufzuhalten.
Sieben größere Einheiten lösten sich aus dem Orbit um Beakkal und näherten sich den Atreides-Schiffen.
Der Mentat wusste, dass es jetzt gefährlich wurde, weil der Oberbashar Zum Garon – genauso wie Hawat ein alter Veteran – davon überzeugt sein musste, dass es sich um eine Falle oder eine Finte handelte, mit der die Verteidigung des Planeten geschwächt werden sollte. Hawats wettergegerbtes Gesicht zeigte keine Regung. Es war in der Tat eine List, aber auf ganz andere Weise, als die Sardaukar dachten.
Schließlich ließ sich der zornige Bashar direkt mit ihm verbinden. »Man hat Ihnen den Befehl zur Umkehr erteilt. Wenn Sie nicht unverzüglich gehorchen, werden Sie vernichtet.«
Thufir spürte, dass seine Besatzung nervös wurde, aber er blieb standhaft. »Dann würde man Sie zweifellos Ihres Postens entheben, Herr. Und der Imperator müsste sich mit den ernsthaften politischen Konsequenzen auseinander setzen, weil seine Truppen das Feuer auf friedliche, unbewaffnete Schiffe eröffnet haben, die eine notleidende Bevölkerung mit humanitären Hilfsgütern versorgen wollten. Mit welcher fadenscheinigen Ausrede will Shaddam Corrino einen solchen Akt der Aggression rechtfertigen?«
Die Stirn des alten Soldaten legte sich in tiefe Falten. »Welches Spiel wollen Sie mit mir treiben, Mentat?«
»Ich treibe keine Spiele, Oberbashar Garon. Nur wenige Menschen wagen es, mich herauszufordern, weil ein Mentat stets gewinnt.«
Garon schnaufte. »Soll ich Ihnen wirklich glauben, dass das Haus Atreides ausgerechnet Beakkal unterstützen will? Vor kaum acht Monaten hat Ihr Herzog diesen Planeten bombardiert. Ist Leto plötzlich weich geworden?«
»Sie verstehen genauso wenig von der Ehre der Atreides wie Ihr Levenbrech vom Sinn und Zweck einer Quarantäne«, sagte Thufir mit leichtem Tadel. »Leto der Gerechte straft, wo Strafe nötig ist, und hilft, wo Hilfe nötig ist. Sind es nicht dieselben Prinzipien, auf denen das Haus Corrino nach der Schlacht von Corrin seine Herrschaft begründete?«
Der Offizier antwortete nicht. Stattdessen erteilte er in einer knappen Codesprache einen Befehl. Fünf weitere Schiffe lösten sich aus dem Orbit und umzingelten die Atreides-Flotte. »Wir verweigern Ihnen den Weiterflug. Die Anweisungen des Imperators sind eindeutig.«
Thufir versuchte es mit einer neuen Taktik. »Ich bin überzeugt, dass Seine Imperiale Majestät Shaddam IV. seinen Cousin nicht daran hindern würde, der Bevölkerung von Beakkal Hilfe zu leisten. Wir sollten ihn fragen. Ich kann warten ... während Sie die Verzögerung zu verantworten haben, wenn auf diesem Planeten noch mehr Menschen sterben.«
Keine andere Familie des Landsraads hätte es gewagt, sich gegen die Blockade des Imperators zu stellen, vor allem in Anbetracht der unbeständigen geistigen Verfassung, in der sich Shaddam zu befinden schien. Aber wenn Thufir in Letos Namen erfolgreich war, fühlten sich vielleicht auch andere Häuser verpflichtet, den Beakkali Hilfe zu gewähren und sie im Kampf gegen die botanische Seuche zu unterstützen. Möglicherweise betrachteten sie es sogar als eine Art passiven Widerstand gegen die jüngsten Entscheidungen des Imperators.
»Schicken Sie eine Nachricht nach Kaitain«, fuhr der Atreides-Mentat fort. »Berichten Sie dem Imperator, aus welchem Grund wir gekommen sind. Für uns besteht keine Gefahr der Kontamination, wenn wir unsere Fracht in Prallboxen aus dem Orbit abwerfen. Bieten Sie Imperator Shaddam die Gelegenheit, die Gutmütigkeit und Großzügigkeit des Hauses Corrino zu demonstrieren.«
Die Sardaukar-Kriegsschiffe schlossen sich enger um die kleine Atreides-Flotte. »Ziehen Sie sich nach Sansin zurück, Thufir Hawat«, sagte der Oberbashar. »Bleiben Sie dort mit Ihren Frachtschiffen, bis Sie neue Anweisungen erhalten. Ein Heighliner macht sich gerade bereit, von der Transferstation aufzubrechen. Ich werde mich persönlich zum Palast des Imperators begeben, um Ihr Ansinnen vorzutragen.«
Die Kriegsschiffe drängten den Hilfsgüterkonvoi in Richtung des Asteroiden mit der Raumstation. Hawat musste widerstrebend nachgeben.
Der Mentat hatte noch eine letzte Botschaft für den störrischen Bashar. »Verlieren Sie keine Zeit, Herr. Auf Beakkal werden die Zustände immer chaotischer, und wir haben Nahrung für die Bevölkerung. Sie sollten den Menschen unsere Hilfe nicht zu lange verweigern.«
Doch in Wirklichkeit war Thufir damit zufrieden, dass die imperialen Truppen vollauf mit dieser Ablenkung beschäftigt waren.
* * *
Die Atreides-Flotte wartete einen vollen Tag an der Sansin-Station ab, nachdem Oberbashar Garon abgereist war. Dann wählte Hawat einen passenden Zeitpunkt und sandte neue codierte Befehle an seine Versorgungsschiffe. Sie zogen sich von der Transferstation zurück und machten sich guten Mutes wieder auf den Weg nach Beakkal, ohne die Proteste der Sardaukar zu beachten.
Ein anderer Offizier verlangte von Hawat, dass er sofort umkehrte. »Wenn Sie Ihren Kurs nicht ändern, müssen wir Sie als Bedrohung einstufen. Dann werden wir Sie mit Waffengewalt stoppen.«
Offensichtlich war der Levenbrech Torynn inzwischen seines Postens enthoben worden.
Die Blockadeschiffe reagierten mit hektischen Aktivitäten, doch Hawat wusste, dass keiner der Offiziere es wagen würde, das Feuer zu eröffnen, wenn nicht einmal der Oberbashar dazu bereit gewesen war.
»Sie haben keine derartigen Befehle erhalten. Unsere Vorräte sind verderblich, und die Menschen auf Beakkal verhungern. Ihre verantwortungslose Verzögerung hat bereits Tausende, wenn nicht gar Millionen Todesopfer gefordert. Machen Sie Ihr Verbrechen nicht noch schlimmer, als es bereits ist, Herr.«
Der verunsicherte Offizier setzte sich mit den anderen Schiffen in Verbindung und gab Energie auf die Waffensysteme, aber Hawat stieß mit seinen Schiffen einfach durch ihr Blockadenetz hindurch. Selbst der schnellste Kurier würde noch einige Tage benötigen, um eine Antwort von Kaitain zu überbringen.
Im Orbit positionierten sich die Atreides-Schiffe über den am schwersten betroffenen Bevölkerungszentren. Hangartore öffneten sich, und Prallboxen stürzten in die Lufthülle, große unbemannte Container mit eigenem Antrieb, die für eine halbwegs weiche Landung sorgten. Gleichzeitig sendete Thufir eine Nachricht an die Planetenbewohner. Er pries die Gnade des Herzogs Leto Atreides und forderte sie auf, diese Geschenke im Namen der Menschlichkeit anzunehmen.
Er hatte mit einer entrüsteten Antwort des Senatsvorsitzenden gerechnet, aber dann erfuhr er, dass der Politiker die Volksaufstände nicht überlebt hatte. Sein verschüchterter Nachfolger beteuerte, keinen Groll gegen das Haus Atreides zu hegen, und jetzt erst recht nicht mehr.
Die Sardaukar würden die entladenen Atreides-Schiffe vermutlich daran hindern, das System zu verlassen, aber damit würde sich Thufir später auseinander setzen. Er hoffte, dass er mit seiner Aktion die beabsichtigten Ziele erreicht und vor allem auf Kaitain für Unruhe gesorgt hatte.
Jetzt hatte er Zeit und konnte warten. Letos Planung sah vor, dass sich die Atreides-Truppen in diesem Moment für den Angriff auf Ix formieren.
Als ein soeben eingetroffener Kurier mit einem Shuttle die Sansin-Station verließ und vom Sardaukar-Flaggschiff aufgenommen wurde, vermutete Hawat, dass der Oberbashar Garon zurückgekehrt war.
Eine Stunde später vernahm der Mentat erstaunt die Neuigkeit, dass sich der Imperator gar nicht dazu herabgelassen hatte, eine Entscheidung wegen des, wie er sich ausdrückte, »unbedeutenden Atreides-Zwischenfalls« vor Beakkal zu treffen. Stattdessen hatte er seinen Oberbashar zurückgerufen. Thufir fing eine Funkbotschaft auf, in der es hieß, dass ein »neuer großer Feldzug« vorbereitet wurde.
Das hatte Thufir Hawat in seinen mentalen Extrapolationen nicht vorhergesehen. Seine Gedanken rasten, ohne dass er einen Lösungsansatz fand. Ein neuer großer Feldzug? Sollte Ix gerettet werden? Oder ging es um einen Vergeltungsschlag gegen Caladan? Hatte Herzog Leto bereits verloren?
Jede Möglichkeit, die sein Mentatenverstand anbot, gab Anlass zu großer Besorgnis.
Vielleicht war Leto in eine schreckliche Falle gelockt worden.